Tuesday 28 October 2025
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kurier.at - 8 hours ago

Nicht alle Opfer schreien : Arbeit mit jungen Sexualstraftätern

Zehn Jugendliche bzw. junge Männer hatten sexuellen Kontakt mit einem damals 12-jährigen Mädchen – wurden aber freigesprochen. Burschen im Alter von 14 bis 17 Jahren wurden im Missbrauchsfall um eine Lehrerin, die sie von Juli 2024 bis Jänner 2025 erpresst, bestohlen und missbraucht haben sollen, wiederum für schuldig befunden. Zwei Fälle, die in der jüngeren Vergangenheit für eine Welle der Empörung im Land gesorgt haben.So unterschiedlich die Ausgänge dieser Prozesse auch waren, weisen sie doch einige Gemeinsamkeiten auf: In beiden Fällen waren die Beschuldigten männlich, minderjährig, großteils mit Migrationshintergrund. In beiden Fällen waren die mutmaßlichen Opfer weiblich. Und in beiden Fällen bleibt die Frage zurück: Wie kann es dazu kommen, dass Jugendliche, die selbst fast noch Kinder sind, zu solchen Taten fähig sind? Wie soll man in Zukunft mit ihnen umgehen – und zu was für Erwachsenen werden sie, wenn sie nicht entsprechende Hilfe erhalten?Der Wiener Verein Limes setzt genau hier an und arbeitet mit sexuell grenzverletzenden Jugendlichen und, seit kurzem, auch mit Kindern unter 14 Jahren. Wir haben derzeit nur männliche Klientel, etwa 80 Prozent davon kommt durch Weisung der Justiz, um eine Behandlung bei uns zu machen, erklärt Rainer Simader, Psychotherapeut und Leiter von Limes. Zwangskontext„Zwangskontext“ lautet der Fachausdruck dafür. Sprich die jungen Männer und Jugendlichen wenden sich nicht aus Selbstmotivation an den Verein, sondern wurden von Gericht oder der Kinder- und Jugendhilfe geschickt. 40 bis 50 Jugendliche sind derzeit Teil des Limes-Programms. „Es handelt sich dabei um Burschen aus allen Gesellschaftsschichten, die aus unterschiedlichen Herkunftsländern kommen.“ Die Therapiegruppen sind deliktspezifisch aufgeteilt. „Eine Gruppe Jugendlicher besteht aktuell zum Beispiel zu 90 Prozent aus Österreichern“, so Simader. Man braucht einen langen Atem Die Therapeutinnen und Therapeuten bei Limes müssen dem Gericht regelmäßig berichten, wie die Behandlung läuft – auch dann, wenn die Jugendlichen mal nicht erscheinen. Ab drei unentschuldigten Fehlterminen gibt es entsprechende Konsequenzen. Ziel sei es, mit den jungen Menschen in eine therapeutische Beziehung zu kommen. Oftmals kann es bis zu einem Jahr dauern, eher die Skepsis fällt und eine Bindung aufgebaut wird. Insbesondere, wenn sie einen Gerichtsprozess oder eine U-Haft hinter sich haben. Man braucht einen langen Atem, zitiert Simader einen seiner Kollegen. Amina Beganovic / KURIERRainer Simader vom Verein Limes.Die Therapie beginnt mit einem ersten Abklärungsgespräch, im zweiten Schritt folgt die psychologische Diagnostik. Ein wichtiger Punkt hierbei: Das etwaige Rückfallrisiko. Hier muss man schon zu Beginn erheben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser junge Mann wieder einen Übergriff macht. Therapie dauert zwei bis drei JahreDann geht es weiter mit Einzel- und später auch mit Gruppentherapie, wo die jungen Männer ihre Delikte aufarbeiten sollen. Auch Bezugspersonen werden dabei eingebunden. Bei Bedarf werden auch Dolmetschende herangezogen. Insgesamt dauert die Therapie zwei bis drei Jahre.Opferempathie lernenAnders als bei einer klassischen Psychotherapie werden bei Limes einige Themen der Sitzungen vorgegeben. Impulskontrolle, Sexualität, Männerbilder oder Frauenbild gehören etwa oft dazu. Auch die Frage nach der Verantwortungsübernahme für eine Tat, also nach der im Zusammenhang mit Gerichtsprozessen oft genannten Reue . Die Verantwortungsübernahme ist am Anfang oft sehr gering, weil die Jugendlichen verunsichert sind und nicht wissen, was sie sagen dürfen, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen. Daher ist die therapeutische Beziehung in der Jugendarbeit so wichtig: Umso stärker diese Beziehung ist, umso besser gelingt es dem jungen Menschen in der Regel, über sein Handeln zu sprechen und schließlich auch Verantwortung zu übernehmen. Die Reflexion soll den Jugendlichen helfen, zu erkennen, dass sie über Grenzen gegangen sind. Nicht alle Opfer schreien Auch die Frage, wie ihr Opfer reagiert hat, wird aufgearbeitet. „Denn natürlich reagieren nicht alle Opfer bei sexuellen Delikten wie im Film mit Schreien und Davonlaufen“. Viele Jugendliche hätten dabei ein bestimmtes Verhalten im Kopf: Wenn das Opfer zum Beispiel nicht schreit, dann war es in den Augen mancher Täter kein Übergriff, erklärt Simader. Bei den Einzel- sowie Gruppensitzungen gehe es dann vor allem darum, die Risikofaktoren für einen Rückfall zu minimieren. Es gibt aber auch einige Härtefälle: Pro Jahr haben wir im Verein schätzungsweise fünf Klienten, bei denen eine ambulante Behandlung zu wenig ist. Für Menschen, die sexuell grenzverletzend gewesen sind, gibt es in Österreich entweder ein ambulantes Programm oder Haft. Es gibt keine stationäre Einrichtung , kritisiert Simader. Es würde eine WG brauchen, wo die Jugendlichen wohnen könnten, wo sie psychiatrisch und therapeutisch betreut werden, so der Experte. Auch die Versorgung in den Bundesländern müsse ausgebaut werden – der Verein Limes ist nämlich nur in Wien tätig.Keine Daten zu Rückfallquote Wir haben Klienten, bei denen wir schon bei der Diagnostik wissen, dass wir ablehnen müssen, weil unser Angebot nicht ausreicht. Oder weil sie eine Drogen- oder Alkoholsucht haben. Das muss zuerst behandelt werden, bevor wir die Therapie beginnen können. Wir weisen diese Jugendlichen dann wieder zurück ans Gericht. Oft passiert es, dass die dann wieder straffällig werden, weil es keine passende Einrichtung gibt. Prognosen, wie rückfällig Klienten in Zukunft sein werden, seien aber schwer zu machen. „Wir erhalten aus Datenschutzgründen keine Informationen darüber, wie die Jugendlichen weitermachen bzw. ob sie erneut straffällig werden, sobald sie ihre Therapie beendet haben. Es gibt zwar Daten aus Deutschland von einer stationären Einrichtung – die haben eine über 90-prozentige Erfolgsquote, dass kein Rückfall stattfindet. Bei uns fehlt das aber.“ Diese Daten wären aber wichtig, so Simader. „Nur so kann man die Arbeit auch gut und nachhaltig evaluieren.“


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