Monday 13 October 2025
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kurier.at - 3 hours ago

Jasmila Žbanić über ihre Doku Blum : „Ich habe oft mit den Tränen gekämpft“

Heute haben junge Menschen in Bosnien und Herzegowina keine Ahnung mehr, wer Emerik Blum war. Einer älteren Generation in Ex-Jugoslawien jedoch hat sich sein Name prominent ins kollektive Gedächtnis geschrieben: Zum einen, weil der Holocaust-Überlebende Blum nach dem Zweiten Weltkrieg den äußerst erfolgreichen jugoslawischen Konzern Energoinvest au zum anderen, weil er als Bürgermeister von Sarajewo im Februar 1984 die Olympischen Spiele organisiert hatte.Jasmila Žbanić war zum Zeitpunkt der Bewerbe erst neun Jahre alt, aber der Name Blum war ihr damals absolut geläufig: „Olympia galt als Höhepunkt des Fortschritts für Sarajewo, und jeder wusste, dass Blum der Bürgermeister war. Das war Teil meiner Kindheit.“Heute jedoch ist Emerik Blum in Vergessenheit geraten – wie überhaupt die Geschichte des jugoslawischen Sozialismus weitgehend unbekannt ist, findet die bosnische Regisseurin im KURIER-Gespräch: „Nach Ende des Jugoslawien-Krieges traten wir in eine Ära des Nationalismus ein. Die neuen Eliten bemühten sich darum, alles vergessen zu machen, was es vor dem Krieg gegeben hat. Es werden nur noch die schlechten Dinge aus den sozialistischen Zeiten erinnert. Der Rest ist aus den Schulbüchern verschwunden.“Die Doku „Blum – Masters of Their Own Destiny“ (derzeit im Kino) ist die Antwort auf das Vergessen von Jasmila Žbanić, deren packendes Drama „Quo Vadis, Aida?“ vom Völkermord in Srebrenica erzählte und dafür als bester internationaler Film oscarnominiert wurde. Apropos Oscar: „Blum“ ist der bosnische Beitrag für die 98. Oscar-Verleihung.Flucht aus dem KonzentrationslagerEmerik Blum wurde 1911 als Sohn jüdisch-ungarischer Eltern in Sarajewo geboren und überlebte den Holocaust nur knapp durch Flucht aus dem Konzentrationslager.1951 kam er mit 20 Technikern nach Sarajewo und gründete die Infrastrukturfirma Energoinvest, mit der er eine sozialistische Utopie in die Tat umsetzte: Der Konzern basierte auf dem Modell der Selbstverwaltung und der Mitbestimmung der Arbeiter in der Unternehmensfü und er basierte auf Gewinnverteilung. Dieses System ermöglichte es allen Beschäftigten, gemeinsam über alle Belange zu entscheiden – und verwandelte Energoinvest in Titos autoritär geführten blockfreien Jugoslawien in ein international höchst erfolgreiches Unternehmen.„Man muss sich das einmal vorstellen“, erzählt Jasmila Žbanić: „Im Jahr 1945 konnten 80 Prozent der bosnischen Frauen weder lesen noch schreiben. Meine eigene Großmutter väterlicherseits war noch Analphabetin. Zwanzig Jahre später, in den 1970ern saßen viele Frauen bereits in den Chefetagen. Der Sozialismus hatte viele negative Seiten, aber was er für die Bildung der bosnischen Frauen tat, ist unglaublich.“APA/AFP/GABRIEL BOUYSGegen das Vergessen: Regisseurin Jasmila Žbanić.Fortschritt durch BildungEmerik Blum war eine Schlüsselfigur in Sachen Fortschritt. Abgesehen davon, dass er sich hartnäckig weigerte, von „seinem Unternehmen“ zu sprechen, und darauf bestand, dass es allen, die darin arbeiteten, gehörte, sorgte er nicht nur für Unterkunft und Gesundheit, sondern auch für die umfassende Bildung der Belegschaft. Konzertbesuche und Tanzveranstaltungen zählten ebenso dazu, wie Auslandsstipendien zur Weiterbildung: „Nur zufriedene Menschen sind produktiv“, lautete sein Motto, das man nur zur gerne den Konzernchefs der Gegenwart ins Stammbuch schreiben würde. Und dass Frauen gleich bezahlt wurden wie die männlichen Kollegen und dementsprechend auch höhere Positionen belegten, war für ihn selbstverständlich.[Splitting in progress... ⌛Filmdelights Emerik Blum (re.) neben Staatspräsident Tito: „Blum – Masters of Their Own Destiny“ von Jasmila Žbanić. In ihrem hinreißenden Porträtfilm „Blum“ interviewte Jasmila Žbanić ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Energoinvest: Unisono zeichnen sie das Bild eines Mannes mit beispielloser Menschenliebe, der trotz der erschütternden Erlebnisse im Holocaust ein großer Humanist blieb: „Die Leute, die ihn kannten, liebten ihn“, erzählt die Regisseurin, die sich redlich darum bemühte, auch kritische Stimmen zu finden, „damit es kein Propagandafilm wird“. Aber Blum war offensichtlich „ein wirklich sehr netter Mensch, der seine Ideale lebte“, meint Jasmila Žbanić und gibt zu, dass sie während der Dreharbeiten „oft mit den Tränen gekämpft“ habe. Zu den berührendsten Szenen zählt das Gespräch mit Blums Enkelin, die ihren Großvater einmal fragte, warum er denn so viel rauche. Weil er eigentlich schon tot sein müsste und sein jetziges Leben ein Extraleben sei, so seine Antwort.


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